Text: Mikael Vallin
Fotos: Ted Olsson
Wir treffen Bernhard Roetzel zu einem Interview in dem renommierten Restaurant Cölln´s in einer versteckten Ecke im zentralen Viertel von Hamburg. Der Modeexperte nähert sich uns durch eine Seitenstraße, gekleidet in einen klassischen, korrekt über den Schultern sitzenden Lodenmantel, einem maßgeschneiderten Tweedanzug mit Hahnentrittmuster, einem in Deutschland gefertigten Halstuch und einem irischen Bucket-Hut aus Tweed. Die grünen Nuancen der Kleidung stehen in perfekter Harmonie zueinander.
Im Laufe der nächsten Stunden sollten wir uns über seine Einstellung zu Herrenmode und den klassischen Stil unterhalten. Ich gebe zu, die Nervosität macht mir etwas zu schaffen. Das Treffen stellt eine große Ehre für mich dar, wirkt bedeutungsvoll. Bernhard Roetzel hielt am Vortag in Zusammenhang mit der Veröffentlichung seines neuen Buches über handgefertigte Schuhe auf einer Messe in Düsseldorf zwei Vorträge zu diesem Thema. Neben seiner Tätigkeit als Autor arbeitet Bernard Roetzel als Stilratgeber, Referent und persönlicher „Bespoke Coach“ für Privatkunden.
Zu Beginn unseres Gesprächs unterhalten wir uns über den Ursprung von Bernhard Roetzels persönlicher Vorliebe für Stil. Ich frage neugierig, ob die Leidenschaft für guten Geschmack in der Familie liegt oder das Interesse aus eigenen Beweggründen entstand:
„Ich wuchs außerhalb der Stadt Hamburg auf. Mein Vater, ein Professor für Thermodynamik, kleidete sich der damaligen Zeit entsprechend in Hemd, Krawatte und Anzug, womit er so gesehen kein offenkundiges Interesse an Mode und Stil zeigte. Meine Neugierde wurde durch die Filme der 30er und 40 Jahre angeregt, deren traditionell englischen Kleidungsstil, gepaart mit dem Ivy League Design ich zu Beginn fasziniert nachahmte. Schon früh wurde mir der Stellenwert von Vintage-Mode, Qualität und das Tragegefühl von hochwertig gefertigter Kleidung bewusst.“
Wir diskutieren leidenschaftlich über die Besuche verschiedener Manufakturen und die Entdeckungsreisen durch die Boutiquen aller Herren Länder, sowie über den Zusammenhang mit einem gesunden Lebensstil.
„Wirft man einen Blick in die Vergangenheit, kann man feststellen, dass Herrenmode meistens an eine gut gepflegte Körperform angepasst wurde“, reflektiert Bernhard Roetzel. „Natürlich ist es möglich mit Hilfe der Kleidung Nachteile zu kaschieren und die Vorzüge der eigenen Silhouette zu betonen. Letztendlich sind die Schnitte der klassischen Mode jedoch oft auf die durchschnittliche Figur ausgerichtet.“
Roetzel dazu: „Ich möchte Raucher nicht verurteilen, kann aber den merkwürdigen Trend feststellen, dass die Glorifizierung des Rauchens und der Alkoholkonsum sich in der Welt, die in Verbindung mit klassischer Herrenmode steht, erneut manifestiert hat. Ein nachhaltiger Lebensstil ist nicht nur gesünder, sondern lässt auch unsere Kleidung besser zur Geltung kommen und unterstreicht den geschmackvollen Auftritt".
Die theoretische Grundlage über Formen und Proportion die, wie wir wissen, in der Modebranche unbestreitbar von großer Bedeutung ist, hat sich der Moderatgeber durch sein Studium zum Grafikdesigner angeeignet. Bernhard Roetzel bringt es deutlich auf den Punkt: „Die Figur ist wesentlich.“ Wir konstatieren, dass je mehr Wissen man sich über Stil und Kleidung aneignet, umso spannender wird das Thema und die Bedeutung eines geschmackvollen Eindrucks.
Roetzel hält sich fit durch Laufrunden an der frischen Luft. In unserem Gespräch hat der Stilexperte immer eine Anekdote parat und überrascht mit intelligenten Assoziationen, die sich auf unsere Themen oder bestimmte Situationen beziehen. Wir unterhalten uns über die gängige Business-Mode und kommen gemeinsam zu dem Schlusssatz, dass ein schwarzer, oft unvorteilhaft geschnittener Anzug in Kombination mit schwarzen Schuhen zweifelhafter Qualität, zum aktuellen Erscheinungsbild von vielen Politikern, Geschäftsleuten und Prominenten zählt. Diese Farbwahl scheint sich aus unerklärlichen Gründen manifestiert zu haben. Man kann jedoch beobachten, das jüngere Generationen die Kombination von marineblauem Anzug mit braunen Schuhen für sich entdeckt hat.
Ein guter Herrenausstatter sollte laut Roetzel folgendes repräsentieren: „Es kann nach einer Utopie klingen, aber meiner Ansicht nach sollte das Grundsortiment aus saisonunabhängigen Modellen wie Anzügen und Sakkos aus leichten und festen Stoffqualitäten, sowie Hosen und Pullovern mit zeitlosen Schnitten bestehen.“
”Care of Carl verfügt über ein umfassendes Angebot und reflektiert gängige Modetrends, um am Puls der Zeit zu bleiben. Der Gesamteindruck ist dem nordischen und mitteleuropäischen Geschmack angepasst. Ich nehme an, dass Ihr Online-Shop durch das Angebot an traditionellem Design mit anglo-amerikanischen Einflüssen, sowie modernen urbanen Modellen und Athleisure-inspirierter Mode, großen Anklang in Deutschland finden wird. Diese Zusammenstellung macht eine gute Mischung aus.“ Einige Beispiele ganz nach Roetzels Geschmack:
Es kann leicht der Eindruck entstehen, Bernhard Roetzel sei eine formell korrekte Stilpersönlichkeit, die gerne ausgiebig über Etikette und Regeln referiert. Man könnte sich nicht mehr täuschen. Der Kenner des klassischen Gentleman-Stils vermittelt in seinen inspirierenden Auslegungen die Freude an hochqualitativer Kleidung und unbegrenzter Kreativität.
„Ich treffe oft auf Followers und Leser meiner Bücher, die so korrekt gekleidet sind, dass die Persönlichkeit oft nicht zur Geltung kommt, als würde man nach einem Muster vorgehen. Dieses Phänomen beobachte ich vor allem bei jüngeren Generationen. Sind Farben und Materialien so perfekt aufeinander abgestimmt, geht die Ungezwungenheit verloren. Es sieht wie gewollt und nicht gekonnt aus“, erzählt Roetzel nachdenklich.
”Seit über 20 Jahren habe ich mich deutlich für das Tragen von Hosen mit höherer Taille und Bundfalte ausgesprochen“. Heute ist dieser Stil in den meisten sozialen Medien mit Fokus auf Herrenausstattung vertreten. „Ich will keinem Club angehören, der mich als Mitglied haben möchte“, zitiert Roetzel eine treffende Aussage des berühmten Künstlers Groucho Marx. Roetzels maßgeschneiderter Anzug erinnert eher an den eleganten Stil der 60er Jahre mit niederer Taille und ausgesuchten Details wie „Frogmouth“-Taschen, die das hohe Stilniveau gekonnt unterstreichen.
Bernhard Roetzel ist trotz seiner unzähligen Bücher über korrekte Kleidung und Stilratgebung und vielleicht auch gerade deshalb, ein kreativer Rebell und ausgesprochener Individualist. Es geht nicht darum, mit exzentrischen Hüten oder grellen Farben Aufmerksamkeit bei Street-Fotografen zu erregen. Es dreht sich um die Leidenschaft durch vertieftes Wissen, laufend neue Dimensionen und Auslegungen der klassischen Herrenmode zu erreichen. Das lässt das Herz höher schlagen.
Wir runden den Tag mit einem gemütlichen Stadtbummel durch Hamburg ab. Roetzel zeigt sich als geschickter Stadtführer mit detaillierten Hintergrundinformationen über Architektur und kulturell bedeutende Plätze. Bei der herzlichen Verabschiedung habe ich das Gefühl, einen neuen Freund gewonnen zu haben.
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