Der angesehene Strafverteidiger, Schriftsteller und TV-Rechtsexperte Jens Lapidus verbucht die Erfolge am laufenden Band. Wir treffen Schwedens berühmten Anwalt und Autor zu einem exklusiven Interview, in dem er uns mehr über sein kommendes Buch verrät, die zweite Saison von Snabba Cash - „Spür die Angst“ und warum er alle Krawatten verkauft hat.
An einem nebligen Mittwochmorgen sind wir entlang Värmdös schmalen Straßen auf dem Weg zur Sommerresidenz von
Jens Lapidus. Am Tag zuvor erfuhren wir, dass ein Auto mit Allrad auf den letzten Metern der Strecke eventuell von Nöten sein könnte, was für unseren gemieteten XC90, vollgepackt mit exklusiver Kleidung von
Kiton, die Jens zum Fotoshooting präsentieren soll, kein Problem darstellen dürfte. Auf der Fahrt zieht eine idyllische Landschaft mit typisch roten Holzhäusern, einem herrschaftlichen Gut und weidenden Rehen vorbei. Als wir die Hauptstraße verlassen, dem Ziel immer näherkommend, taucht vor uns eine moderne Villa aus Holz und Beton mit großen Glasfronten, die Aussicht auf das Wasser und die Tannen bietet, auf. Unser erster Gedanke: der perfekte Ort, um Bücher zu schreiben. Als wir, das Auto geparkt, den steilen Hügel erklimmen, öffnet Jens bereits die Tür. „Hatten Sie eine angenehme Fahrt?“ fragt der Schriftsteller und bittet uns mit einem herzlichen Lächeln nach Drinnen. Wir legen die Jacken ab und bestaunen bei einer Rundführung das Haus, entworfen von dem preisgekrönten Architektenbüro
Arrhov Frick.
Jens Karriere ist in vollem Gange. Seinem Debutroman ”Spür die Angst” aus dem Jahr 2006 folgten weitere sechs Romane, einige Novellensammlungen, eine Romanserie und eine Spezialausgabe. Im Jahr 2017 verließ er die Advokatenlaufbahn und hängte die Anzüge für immer in den Schrank, um sich von nun an voll und ganz dem Schreiben zu widmen. Zur Zeit trägt er meist bequeme Kleidung, betont aber dabei, dass Handwerk und Qualität trotzdem einen hohen Stellenwert in seiner Garderobe behalten haben. Wir machen es uns im Wohnzimmer gemütlich, wo die Musik des schwedischen Rappers A36 aus den Lautsprechern ertönt. „Musik ist für mich eine Art Research, die mir hilft neue Ausdrücke für meine Bücher zu finden, aber natürlich gefällt sie mir auch,“ meint der Autor. Wir führen das Gespräch fort bei leiser Musik, Kamerablitzen und knisterndem Kaminfeuer.
Zu Beginn Ihrer Karriere als Schriftsteller waren Sie noch Vollzeit als hochangesehener Anwalt beschäftigt. Wie schafften Sie es, alles unter einen Hut zu bringen?
- Als ich an meinem Buch ”Spür die Angst” schrieb, war ich noch als Jurist am Gericht beschäftigt und als ich an „Mach sie fertig“ und den anderen Büchern arbeitete, war ich gleichzeitig auch Anwalt. Unter anderem arbeitete ich für die Anwaltskanzlei Mannheimer Swartling, um mich dann auf Strafverfahren zu konzentrieren. Ist man als Jurist beschäftigt, verkauft man seine Zeit, auch der Beruf des Anwalts ist zeitaufwendig. Man muss immer für seine Klienten da sein können. Ich war bei Haftprüfungen an Weihnachten und es kam auch vor, dass ich meinen Urlaub unterbrechen musste, um einem Klienten zur Seite zu stehen. Aber um auf Ihre Frage zurück zu kommen, das Schreiben war eine Möglichkeit abzuschalten. Mein Job raubte mir Kraft, da ich zu hundert Prozent intellektuell, emotional und sozial gefordert war. Schreiben wurde zu einem Freiraum, der mir Energie zurückbrachte, auch wenn die Nächte dadurch oft etwas kürzer wurden.
Sie können stolz auf eine Sammlung an Romanen und Novellen blicken, von denen auch einige zu Filmen und TV-Serien wurden. Macht das Schreiben noch immer so viel Spaß?
- Ja und Nein, würde ich behaupten. „Spür die Angst“ schrieb ich aus reiner Freude am Schreiben. Ich hatte noch keine Kinder und war am Gericht beschäftigt, wo sich eine ganze Welt offenbarte, zu der ich vorher keinen Zutritt hatte. Das Schreiben wurde zu einer Art Ventil, das mir half all die tragischen Geschichten, die mir bei meiner Arbeit begegneten, zu verarbeiten. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass „Spür die Angst“ überhaupt ein Roman werden sollte, geschweige denn, dass das Buch publiziert werden würde. Ich habe mir abends einfach alles von der Seele geschrieben, was ich auf dem Gericht zu hören bekommen habe, also ja, mitunter fällt es mir schwer dieses Gefühl wieder wach zu rufen. Allerdings bereicherte mich der kreative Prozess neben der Tätigkeit als Anwalt mit etwas ganz Besonderem.
Im Jahr 2017 haben Sie der Karriere als Anwalt den Rücken gekehrt, um sich ganz auf die schriftstellerische Tätigkeit konzentrieren zu können. Ist das Schreiben mit der Zeit leichter oder schwerer gefallen?
- Den Job als Anwalt an den Nagel zu hängen, war keine leichte Entscheidung, die ich auch nicht von heute auf morgen getroffen habe. Meine Familie musste bestimmt zurückstecken, als ich Bücher schrieb und gleichzeitig Vollzeit als Anwalt tätig war. Um ehrlich zu sein, wurde das Schreiben mit der Zeit zu einem Job wie jeder andere. Es hieß nicht einfach nur mehr den Computer starten und der Kreativität freien Lauf lassen. Plötzlich ging es auch um Recherchereisen, PR-Termine vor den Veröffentlichungen, Tourneen usw. Komischerweise fiel es mir nach dem Austritt aus der schwedischen Anwaltschaft schwerer Bücher zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt zogen wir nach Mallorca um. Dort hatte ich alle Zeit der Welt und konnte mich voll und ganz meinen Büchern widmen. Ich hatte keinen festen Job als Anwalt mehr, jedes ideelle Engagement war auf Eis gelegt, keine Vorlesungen geplant. Ich war der freieste Mensch auf Erden und hätte zwei Romane pro Jahr herausgeben können, doch es dauerte vier Jahre, um
Paradis City fertig zu stellen. Mit der Zeit konnte ich mich jedoch in der Rolle des Schriftstellers finden, vor allem zum Großteil auch, weil wir wieder nach Stockholm zurückgekehrt sind, glaube ich.
Seit 2006, nach der Veröffentlichung von „Spür die Angst“, hat die Bandenkriminalität in Schweden einen neuen Höhepunkt erreicht. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der letzten Jahre?
- Wie sich die aktuelle Entwicklung aufhalten lässt, ist die Millionenfrage, die sich heutzutage viele stellen. Als ich „Spür die Angst“ schrieb, konnte ich kaum den Gebrauch von Schußwaffen in meinem Buch beschreiben, da diese nicht im selben Ausmaß wie heute verwendet wurden. Würde man heute ein Buch zu dieser Thematik verfassen, wäre die Sachlage genau umgekehrt. Es erfordert jede Menge, um die Entwicklung in den Griff zu bekommen. Es stellt sich immer mehr heraus, dass eine härtere Gesetzgebung, mehr Polizeiressourcen, aber auch tiefere Eingriffe in die Gesellschaft notwendig sind, um das Problem in den Griff zu bekommen. Das erfordert aktives Arbeiten im schulischen Umfeld, ein Durchbrechen der Segregation sowie eine verstärkte Integration. Zu dieser Frage gibt es jedoch leider keine Patentlösung.
”Ich war gezwungen, die Gewaltszenen drastisch zu verschärfen, da ich eine Dystopie schildern und nicht die Wirklichkeit wiedergeben wollte.”
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das dystopische Szenario aus Ihrem letzten Buch Paradis City, wo Mauern um gewisse Gebiete errichtet wurden, um den Rest der Bevölkerung zu schützen, Wirklichkeit wird?
- Wie Sie richtig beschreiben, ist
Paradis City eine Dystopie, eine Art Warnsignal, was passieren könnte, sollte keine der Maßnahmen greifen. Das ist keine Prognose, sondern ein Worst-Case-Szenario. In Anbetracht dessen, hat der Schreibprozess viel Spaß gemacht, da ich meine Ideen, wie noch nie zuvor, ganz frei entfalten konnte. Ich hatte die Möglichkeit zu beschreiben, wie die Welt aussehen könnte, wenn die Gesellschaft scheitert. Da der Schaffensprozess einige Zeit in Anspruch nahm, hat die Wirklichkeit, wenn man an die Schießereien und Sprengattentate denkt, die Fiktion beinahe eingeholt. Ich war gezwungen die Gewaltszenen drastisch zu verschärfen, da ich eine Dystopie schildern und nicht die Wirklichkeit wiedergeben wollte.
Ein schneller Themenwechsel. In welchem Bezug stehen Sie zu Kleidung?
- Ein großer Teil ist Interesse, ein erheblicher Teil unterliegt aber auch gewissen Erwartungen. Meiner Meinung nach sollte jemand der als Anwalt arbeitet, auch wie ein Anwalt gekleidet sein. Ein Gerichtssaal ist nicht der Ort, seine eigene Individualität zum Ausdruck zu bringen. In anderen Ländern, trägt man beispielsweise spezielle Kleidung, die nur für den Gerichtsaal bestimmt ist, aber solchen extremen Dresscodes folgen wir in Schweden nicht. Wenn ich früh morgens den Anzug aus dem Schrank holte, schlüpfte ich automatisch in die Rolle des Anwalts. Man lässt seine persönliche Einstellung und seine Gefühle zu Hause und konzentriert sich ganz auf die Aufgaben. Ich nehme jedoch an, dass sich die Journalisten, die mich zu „Spür die Angst“ befragten, eine ganz andere Person erwartet hätten, als jene die sie antrafen. Da die meisten Interviews in den Mittagspausen stattfanden, erschien ich immer in dunklem Anzug und Hermès -Krawatten, genauer gesagt, meinem Arbeits-Outfit, das wahrscheinlich nicht dem optisch gängigen Bild eines Schriftstellers entsprach.
"Ich trage zum Beispiel gern ein Overshirt, T-Shirt und Drawstrings aus Wolle."
Hat sich Ihr Kleidungsstil verändert, seit Sie Vollzeit als Schriftsteller arbeiten?
- Ich habe erst vor kurzem alle meine Krawatten verkauft, das beantwortet vielleicht Ihre Frage. Mein Stil hat sich ganz klar verändert. Anzug und Krawatte trage ich nur mehr ganz selten - vom Anzugträger im Gerichtssaal, zu ausgewaschenen T-Shirts, Shorts und Espadrilles auf Mallorca. Einen Anzug trug ich dort zu genau zwei Anlässen, einer davon war eine Feier zum 40. Geburtstag. Danach haben ja auch Covid-19, die damit verbundenen Quarantänen und die Arbeit im Home-Office zu einem softeren Stil beigetragen. Zur Zeit trage ich am liebsten Overshirts, T-Shirts und Drawstrings aus Wolle.
„Spür die Angst“ wurde ja auch zur erfolgreichen TV-Serie. Wie fühlt es sich an, eine eigene Serie bei einem der größten Streaminganbieter der Welt zu haben?
- ”Easy money - Spür die Angst“ ist fast ein bisschen zum Franchise geworden. Die Fernsehserie hat mit den Büchern, außer der Thematik an sich, nicht mehr viel gemeinsam. Es geht um zwei komplett unterschiedliche Welten, die in Berührung kommen. Bereits früh wurde beschlossen, dass es nicht um eine Hauptfigur gehen sollte, die es sich zum Ziel setzt, in die höhere Gesellschaft aufzusteigen, sondern eher um die Start-Ups in Schweden und die Unterwelt, was uns mehr aktuell erschien. Dass die Serie ein so großer Erfolg wurde, bedeutet mir natürlich sehr viel und der Drehbuchautor Oskar Söderlund sowie der Regisseur Jesper Ganslandt leisteten einen fantastischen Beitrag.
Was dürfen wir uns von der zweiten Staffel erwarten?
- Eigentlich darf ich gar nicht so viel verraten, doch was ich bisher gesehen habe, ist sehr erfolgsversprechend. Das Drehbuch habe ich selbstverständlich gelesen und ich denke viele werden der Meinung sein, dass die zweite Staffel sogar noch besser ist als die erste. In die zweite Staffel war ich im Vergleich weniger involviert, aber mir scheint, dass uns in Zukunft noch mehr dunkle Seiten erwarten. Was ich feststellen konnte war, dass alle Beteiligten, vom Drehbuchautor Oskar Söderlund, bis zum Produzenten Nicklas Wikström Nicastro, über alle Schauspieler und Mitarbeiter hinter den Kulissen, auf eine Art und Weise vermitteln, dass es hier mehr als nur um eine TV-Serie geht.
Easy Money ist bedeutend für unsere Zeit und beschreibt das Schweden von heute auf eine Art und Weise, wie niemand zuvor.
Aktuell arbeiten Sie ja auch an einer eigenen Produktionsfirma für Film und TV.
- Das habe ich mir schon lange gewünscht, wollte aber nicht ohne einen Partner mit Erfahrung in der Branche starten. Schlussendlich konnte ich Nicklas Wikström Nicastro überzeugen, so dass er seine Stelle bei SF Studios aufgab, um sich ganz unserer Produktionsfirma mit dem Namen
Strive Stories zu widmen. Nicklas arbeitet mehr operativ, während ich mich mit den Ideen und dem kreativen Bereich auseinandersetze. Wir entwickeln Konzepte für Film und Fernsehen, kurz gesagt.
Abgesehen von Strive Stories und Staffel zwei von Easy Money, was ist für die Zukunft geplant?
- Weiterhin schreiben. Aktuell arbeite ich an einem Buch, das kommenden Sommer auf den Markt kommen soll. Im Unterschied zu
Paradis City war dieses Buch viel einfacher zu schreiben. Leider kann ich nicht viel mehr verraten, als dass es der vierte Teil der Top Dog-Serie wird. Außerdem bin ich jeden Dienstag in einer Sendung auf TV4 zu sehen, bei der ich als Rechtsexperte verschiedene Kriminalfälle analysiere. An mehreren Dingen gleichzeitig zu arbeiten, steigert meine Motivation, und natürlich macht es mir Freude zu einem Interview wie diesem eingeladen zu werden.